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Gemeinden

Das Modell Güssing

(13.05.2009) Das 'Modell Güssing' ist die Strategie der dezentralen, lokalen Energieerzeugung mit allen vorhandenen erneuerbaren Ressourcen einer Region. Mit diesem Modell hat es Güssing innerhalb weniger Jahre geschafft, sich weitgehend selbst mit Wärme und Strom zu versorgen.

Güssing, eine Kleinstadt im österreichischen Burgenland: Dank autarker Energieversorgung bleiben die Millionen, welche sonst an Energiekonzerne gezahlt werden, in der Region.

Güssing ist eine Kleinstadt mit ca. 4000 Einwohnern im Burgenland, ganz im Osten Österreichs, an der Grenze zu Ungarn. Infolge der jahrzehntelangen Randlage am ehemaligen Eisernen Vorhang war die Region Güssing bis vor wenigen Jahren strukturschwach und von einer hohen Pendler- und Abwanderungsrate geprägt.


1990: Beschluss eines neuen Energiekonzepts

1990 beschloss der Gemeinderat von Güssing einen hundertprozentigen Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung.

Das Konzept der energetischen Unabhängigkeit bei Strom, Wärme und Kraftstoffen, vor 10 Jahren erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt, löste grosses Gelächter aus. 'Das geht doch nicht', war noch die harmlose Antwort der so genannten Experten. Heute ist die Stadt (Energie-) unabhängig und hat noch zusätzlich viele hundert Arbeitsplätze dazu gewonnen. Die gesamte Wertschöpfung bleibt in der Region und wandert nicht mehr durch fossile Energiezukäufe (Öl, Strom, Kraftstoffe) ab. Die vorhandenen Ressourcen der Region (mehr als 40 % Waldanteil) werden nun wieder genutzt, die Rückstände in der Forstwirtschaft und die Verödung der landwirtschaftlichen Flächen wurden aufgehoben.

Zu den ersten Umsetzungsmassnahmen für 'das Modell Güssing' gehörte die Erstellung eines Energiekonzeptes für die Stadt Güssing. Alle im Gemeindezentrum befindlichen Gebäude wurden energetisch optimiert. Die Ausgaben für Energie im Gemeindebudget konnten so beinahe halbiert werden.


Energieautarke Stadt

Die ersten 'Umwelterfolge' gaben Ansporn am Konzept 'Energieautarke Stadt' konsequent weiter zu arbeiten. Eine Rapsöl-Biodieselanlage, 2 Biomasse-Nahwärmenetze in Ortsteilen von Güssing, sowie die damals grösste Biomasseanlage Österreichs wurden errichtet. Hunderte Termine bei Land, Bund und vor allem auch direkt in Brüssel waren dafür notwendig. Auch der Gemeinderat musste dazu bewegt werden, Haftungen für diese Anlage zu übernehmen.

Gestärkt durch die erzielten Erfolge wurde intensiv am utopisch erscheinenden Projekt 'Biomassevergasung aus Holz zum Zweck der Stromerzeugung' gearbeitet. 3 Jahre und unzählige Reisen zu diversen Behörden, Förderstellen usw. wurden mit einem weltweit einzigartigen Projekt, dem Biomasse-Kraftwerk Güssing, das heute Strom und Wärme mit einer Wirbelschicht-Dampfvergasungstechnologie erzeugt, belohnt.

Aufgrund der günstigen Eigenschaften des erzeugten Produktgases wird bereits an weiteren Anwendungsmöglichkeiten wie z.B. der Herstellung von Methan aus Holz, Benzin und Diesel aus Holz als auch am Einsatz von Brennstoffzellen gearbeitet.


Güssinger Fernwärmenetz

Als das Fernheizwerk Güssing 1996 den Betrieb aufnahm, wurden 12 Gross- und 30 Kleinabnehmer mit einer Gesamtwärmemenge von ca. 6,25 Mio. kWh versorgt. Bis zum Jahr 2002 stieg die Zahl der Kunden auf 37 Gross- und 208 Kleinabnehmer, die über das - mittlerweile auf 27 km ausgebaute - Güssinger Fernwärmenetz versorgt werden. Die Fernwärmeleistung stieg in diesen 7 Jahren kontinuierlich auf 32,25 Mio kWh.

Heute kann in der Stadt Güssing so viel Treibstoff produziert werden, wie die Stadt braucht (~ 1.500.000 l pro Jahr). Es wird mehr Wärme und mehr Strom produziert, als die Stadt benötigt, und von den jährlich nachwachsenden 105.000 t Holz im Bezirk wird ein Fünftel für die Strom- und Wärmeversorgung der Stadt aufgewendet.


Europäisches Zentrum für Erneuerbare Energie

Im Jahr 1996 nahm die Fernwärme Güssing ihren Betrieb auf, wobei sämtliche öffentliche Gebäude der Stadt, private Haushalte als auch die Vielzahl der Betriebe in Güssing an das Fernwärmenetz angeschlossen wurden. Ebenso wurde 1996 als Netzwerk das Europäische Zentrum für erneuerbare Energie (EEE) in Güssing gegründet. In den darauf folgenden Jahren entstanden in Zusammenarbeit zwischen der Gemeinde Güssing und dem EEE Energieerzeugungsanlagen in und um Güssing (Biomassekraftwerk, Biogas, Photovoltaik etc.), was schlussendlich zur Energieautarkie der Stadt Güssing geführt hat.

Das EEE ist mit den Energieerzeugungsanlagen und auch mit den Forschungseinrichtungen in Güssing vernetzt. Es koordiniert die Forschungsarbeiten an den Anlagen, bildet im Ausbildungszentrum Menschen aus ganz Europa zum Thema erneuerbare Energie aus und arbeitet im Dienstleistungsbereich an Energiekonzepten mit Regionen aus ganz Europa zusammen.


Häufige Fragen (eee-info.net)

Was unterscheidet Güssing von einer anderen österreichischen Stadt vergleichbarer Grösse?
Der Unterschied liegt kurz gesagt darin, dass Güssing seinen Energiebedarf an Wärme und Strom selbst erzeugt. Der Strom, der in Güssing im Biomassekraftwerk, in einer Dampfturbine und mit einer Photovoltaikanlage erzeugt wird, wird ins öffentliche Netz des Burgenländischen Stromunternehmens BEWAG zum öko-Tarif eingespeist. Die Wärme, die in zwei Fernheizwerken und im Biomassekraftwerk erzeugt wird, kommt über das örtliche Fernwärmenetz allen in Güssing zugute. Vom günstigen Fernwärme-Tarif profitieren nicht nur private Haushalte, sondern auch die Betriebe in Güssing. Allein 50 neue Betriebe sind in den letzten 10 Jahren in Güssing dazugekommen, angelockt durch die Vorteile, die die Stadt durch die Erzeugung von erneuerbarer Energie bietet. 1100 neue Arbeitsplätze sind entstanden, in einer Region, die jahrzehntelang zu den ärmsten Österreichs zählte. Und es profitieren auch die Besitzer von land- und forstwirtschaftlichen Flächen, die mit ihren Rohstoffen die nachhaltige Energieerzeugung absichern. Somit erreicht Güssing eine Steigerung der Wertschöpfung, denn das Geld, das die Menschen in Güssing für erneuerbare Energie ausgeben, bleibt in der Region.

Gibt es andere österreichische Städte, die das Modell Güssing teilweise kopieren?
Das Europäische Zentrum f. Erneuerbare Energie in Güssing bietet als Netzwerk und als Kompetenzzentrum für alle Fragen der erneuerbaren Energie eine Dienstleistung an, nämlich so genannte Energieentwicklungskonzepte für Gemeinden und Regionen. In diese Konzepterstellung fliessen natürlich alle Erfahrungen, die man in Güssing schon gemacht hat. Diese Konzepte schauen natürlich für jede Gemeinde und Region anders aus, da sie den individuellen Bedürfnissen und Gegebenheiten angepasst werden ? jede Region verfügt über andere Ressourcen. Allen Konzepten gleich ist die Strategie der dezentralen, lokalen Energieerzeugung mit den erneuerbaren Ressourcen, die eine Region zu bieten hat. Ein wesentliches Kriterium ist auch, dass jede Gemeinde bzw. Region von Anfang an in die Konzepterstellung eingebunden ist, dies unterstreicht den individuellen Charakter und erhöht die Akzeptanz bei der Bevölkerung. Das Europäische Zentrum f. erneuerbare Energie (EEE) hat bereits für mehrere Gemeinden bzw. Regionen im In- und Ausland derartige Energieentwicklungskonzepte erstellt, und aufgrund der aktuellen Situation auf dem Energiesektor (steigende Ölpreise) ist die Nachfrage nach solchen Energieentwicklungskonzepten sehr gross.

Wird dem Trend zur Energieautarkie auch in anderen Teilen des Burgenlandes/Südburgenlandes gefolgt?
Ja, es gibt das definitive Ziel, das Modell Güssing bis zum Jahr 2010 von der Stadt auf den Bezirk Güssing auszuweiten. Zur Zeit ist auch ein Energieentwicklungsplan für den Bezirk Oberpullendorf in Arbeit. Und es gibt die Zielsetzung für das Jahr 2013, das Burgenland im Bereich der Stromversorgung (vor allem mit Hilfe der Windkraft) Energieautark zu machen. Alle diese Vorhaben sind aber unter den derzeitigen Bedingungen (Stichwort ökoStromgesetz) schwierig zu errreichen.

Worin bestehen die Herausforderungen der Zukunft in punkto Energieversorgung?
Die Herausforderungen liegen in der Effizienz, in der Ressourcenbereitstellung und damit verbunden in der Rohstoffpreisentwicklung und in der Förderpolitik. Wenn man davon ausgeht, dass die Energieversorgung in Zukunft aus erneuerbarer Energie bereitgestellt werden soll müssen all die genannten Punkte berücksichtigt werden:
? Erstens ist Effizienz gefragt. Effizienz beim Einsparen von Energie und beim Erzeugen von Energie, ein hoher Wirkungsgrad ist gefragt. Holzvergasung ist effektiver als Holzverbrennung. In Güssing geht man den Weg der Polygeneration. Das bedeutet, dass man aus Biomasse nicht nur Strom und Wärme, sondern auch synthetisches Erdgas, synthetische Flüssig-Treibstoffe (Benzin, Diesel), Wasserstoff, Methanol u. a. erzeugen kann. Aus Holz Strom zu erzeugen ist effektiver als daraus nur Wärme zu erzeugen. In weiterer Folge ist es effektiver synthetisches Ergas od. synth. Flüssig-Treibstoff zu erzeugen als nur Storm und noch weiter gedacht ist es effektiver, aus Holz Wasserstoff zu erzeugen, um damit einmal eine Brennstoff-Zelle zu betreiben, die einen viel höheren Wirkungsgrad hat als ein Gasmotor.
? Zweitens ist die Ressourcenbereitstellung ein wesentlicher Faktor. Sonne und Wind sind unbegrenzt vorhanden. Der Einsatz von Biomasse als nachwachsender Rohstoff ist grundsätzlich zu begrüssen, darf aber nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion stehen. Die Strategie des Modells Güssing besteht darin, die vorhandenen Ressourcen einer Region zu verwenden, um genau die Menge Energie zu erzeugen, die die Region braucht und nicht mehr. So kann es nie passieren, dass uns die Ressourcen ausgehen und die Rohstoffpreise infolge überstrapazierter Nachfrage in die Höhe schiessen. Ausserdem verfolgt man in Güssing die Produktion von Treibstoffen der zweiten Generation. Das heisst wir verwenden für die Treibstofferzeugung keine Rohstoffe, die für die Lebensmittelproduktion benötigt werden, wie das zum Beispiel für die Biodiesel (Raps, Palmöl) oder Bioethanol (Mais, Rohrzucker) Produktion geschieht. Wir verwenden dafür Gras, Stroh und Hackschnitzel aus der Walddurchforstung.
? Drittens ist auch eine Förderpolitik notwendig, die die Erzeugung von erneuerbarer Energie unterstützt, erleichtert und rentabel macht. Wenn es die Politik ernst meint mit den Themen Klimawandel, Kyoto-Protokoll, CO2-Reduktion, Nachhaltigkeit, usw. muss sie auch einen Anreiz für die Menschen schaffen, auf erneuerbare Energie umzusteigen. Das bedeutet z.B. ein funktionierendes ökoStrom-Gesetz für Private und Anlagenbetreiber.

Gibt es für Güssing konkrete Pläne zum Ausbau des Konzeptes erneuerbarer Energie?
Ja die gibt es natürlich. Im Frühjahr 2009 geht in unmittelbarer Nähe zum Biomassekraftwerk eine Methanierungsanlage zu Demonstrations- und Forschungszwecken in Betrieb (Forschungsprojekt an dem mehrere Forschungseinrichtungen aus dem In- und Ausland beteiligt sind), die das im Biomassekraftwerk erzeugte Produktgas durch Syntheseprozesse in BioSNG, also in synthetisches Erdgas umwandelt. Zeitgleich soll eine direkt an die Methanierung angeschlossene Tankstelle in Betrieb gehen, wo dieses synthetische Erdgas, das in der Qualität besser ist als russisches Erdgas, abgegeben wird. Ebenfalls im Frühjahr 2009 wird ein Forschungsgebäude ('Technikum Güssing') eröffnet mit dem Schwerpunkt Biomass to liquid, also der Erzeugung von synthetischem Treibstoff aus Biomasse mittels Fischer-Tropsch-Synthese. Für das Jahr 2009 ist auch der Bau einer Biogas-Anlage in Güssing geplant und in weiterer Folge auch die Errichtung eines lokalen Biogas-Netzes für die Stadt Güssing.


Gemeindeamt Güssing, 7540 Güssing, Hauptplatz 7
Tel:03322/42311
Website der Stadt Güssing


Europäisches Zentrum für erneuerbare Energie Güssing GmbH
A-7540 Güssing, Europastraße 1
Tel.: +43/3322/9010 850-0
Website des EEE


Präsentation zum Modell Güssing (PDF)

 

Lesen Sie hierzu auch: Rekommunalisierung des Emmer Stromnetzes aus der Rubrik Gemeinden.

 

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