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Gemüse im Winter anbauen: “Es braucht eine Revolution der Landwirtschaft”

(09.02.2021) Wolfgang Palme erforscht seit zehn Jahren den Gemüseanbau in der kalten Jahreszeit. Frisches Gemüse im Winter und zum Weihnachtsessen Salat aus dem eigenen Garten - das geht! Palme hofft, dass dieses Wissen zu einer Revolution in der Landwirtschaft führt

Gemüse im Winter anbauen? Das klingt verrückt, ist aber möglich. Tatsächlich sind viele Gemüsesorten weitaus frosthärter, als es Forscher bislang für möglich gehalten haben

Von Tina Goebel, Moment, moment.at - Der Wiener Augarten an einem sonnigen, aber trotzdem frostigen Tag Anfang Februar. In der Parkanlage selbst liegen die Blumenbeete brach. Doch ein kleiner Bereich leistet dem kargen Winter Widerstand. Hier sprießt rosaroter Kohl aus dem Boden, zartgrüne Pflänzchen und wuchernde Salate bevölkern die Beete. Hier wird Gemüse im Winter angebaut.


Wintergärtnerei durch Panne entdeckt

Diesen Bereich bewirtschaftet die City Farm Augarten. Wir sind hier im Revier von Wolfgang Palme. Mit Begeisterung führt er durch die Beete und erklärt alle Gemüsesorten, während im Hintergrund leise die Sängerknaben beim Einsingen zu hören sind - es ist eine sehr harmonische Nachbarschaft.

Der Forscher lehrt für gewöhnlich an der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau in Schönbrunn. Dort hat er durch ein Missgeschick im Jahr 2007 entdeckt, dass viele Gemüsesorten Frost und Kälte viel besser vertragen, als es in den Lehrbüchern steht. “Wir haben verschiedene Asia-Salate gestaffelt angebaut, über das gesamte Jahr. Den letzten Satz konnten wir nicht mehr abernten. Da hat uns der Winter im Herbst frühzeitig überrascht. Wir haben sie also stehen lassen in der Annahme, dass sie erfrieren. Sind sie aber nicht - und wir haben gestaunt”, erklärt Palme. Die Pflanzen haben sogar Frost bis zu minus 20 Grad ausgehalten. Laut Lehrbüchern hätten sie schon bei -3 Grad sterben müssen.
Der Forscher Wolfgang Palme


Bereits 77 winterharte Gemüsesorten entdeckt

Seither hat Palme insgesamt 77 winterharte Gemüsesorten entdeckt. Dieses Wissen hat er auch in zwei Büchern niedergeschrieben und Tabellen verfasst, wann welche Sorten eingesetzt und geerntet werden können - denn in der Literatur gab es bislang darüber nichts.

Neben Salaten oder Kräutern ist ein großes Spektrum von Blatt-, Wurzel- und Knollengemüse frosthart. Viele davon können ab September eingesetzt und können dann um die Weihnachtszeit geerntet werden. “Es stimmt einfach nicht, dass nur der Tannenbaum zu Weihnachten grünt. Es kann frischer Salat aus dem eigenen Garten serviert werden. Es können sogar Radieschen geerntet werden, die wir eigentlich mit Ostern und Frühling in Verbindung bringen”, erklärt der Forscher.


Gemüse im Winter anbauen: Nicht der Frost ist das Problem

Grob können zwei Gruppen von Gemüse im Winter angebaut werden: Die “Winterhelden”, die tatsächlich draußen im Freien jedem Frost trotzen. Und jene, die zumindest ein Dach über dem Kopf brauchen. Denn das Hauptproblem im Winter ist nicht die Kälte, sondern Nässe und Wasser, die Schimmel und Fäulnis hervorrufen können.

“Es gibt hektarweise Felder auf denen Folientunnel stehen, die im Winter vollkommen leer stehen. Anstatt hier einfach winterfeste Sorten anzubauen, werden daneben teure, geheizte Hightech-Gewächshäuser gebaut, die nicht nur viel Geld kosten, sondern auch viel Energie benötigen”, so Palme.


In ganz Österreich kann Gemüse im Winter angebaut werden

Von 2016 bis 2019 führte Palme ein Projekt durch, an dem einige Biobetriebe in ganz Österreich teilnahmen und sich an der Wintergärtnerei versuchten. Das Ergebnis: Um optimale Ergebnisse zu erzielen, muss in manchen Gegenden zehn oder elf Tage später oder früher gesät werden.

Und die wirklich erstaunliche Erkenntnis: Im Westen des Landes herrschten teilweise bessere Bedingungen. “Dabei gilt ja vor allem der Osten Österreichs mit dem Marchfeld als Feldgemüsegarten Österreichs. Doch dort ist es im Winter meistens trüb und nebelig, sodass das Gemüse deutlich langsamer wächst. Wir müssen also für den Winter grundlegend umdenken”, meint der Forscher.


Landwirtschaft muss sich radikal wandeln

Der Forscher verfolgt die Vision, durch seine Forschung die Landwirtschaft nachhaltig zu verändern. “Sie ist in Österreich derzeit extrem ineffizient, zumindest wenn wir uns die Energiebilanz ansehen. Denn wir stecken heutzutage mit riesigen Bearbeitungsmaschinen und Pflanzenschutzmittel so viel Energie pro Flächeneinheit hinein, wie wir herausbekommen. Das ist ein Nullsummenspiel. 1910 war die Relation noch deutlich besser: pro eingesetzter Energieeinheit haben wir neun Einheiten herausbekommen.” Klar ist natürlich auch: In der kommerziellen Landwirtschaft wird heute viel mehr Ernteertrag gewonnen als damals. Wir sind produktiver – aber eben nicht effektiver, weil wir so viel mehr hineinstecken - und durch die Klimakrise wird es noch aufwändiger. So müssen etwa aufgrund der vielen Ungeziefer, die durch das wärmere Wetter beste Lebensbedingungen vorfinden, viel mehr Pflanzengifte verwendet werden. Und auch die Land- und Forstwirtschaft mit Monokulturen zeigt sich nun extrem instabil und anfällig, wie das Absterben sämtlicher Fichtenwälder aufgrund von Borkenkäferbefall beweist.

Viel effizienter wäre es daher laut ihm, wieder kleinere Flächen wirklich nachhaltig und von Hand zu bewirtschaften - und das dafür das gesamte Jahr. Sogenannte Marktgärtnereien, die Abo-Services oder Gemüsekisten anbieten, können das gesamte Jahr rund 200 Familien in der Nähe mit Frischgemüse versorgen. “Es braucht eine Revolution in der Gemüseproduktion. Es muss eine Rückkehr zu einer neuen Einfachheit geben. Kleine Lebensmittelhandwerksbetriebe, die wieder zu regionalen Versorgern werden. Sie haben eine viel bessere Energiebilanz, sind nachhaltig und können sich besser gegen die Klimakrise wappnen”, so Palme.


Zu viele Nutztiere - zu wenig Gemüse

Der Selbstversorgungsgrad mit Gemüse liegt in Österreich bei 54 Prozent. “Er könnte aber bei hundert Prozent liegen”, meint Palme. Auch ein Report der Umweltschutzorganisation Greenpeace kommt zum Schluss, dass rund 80 Prozent aller landwirtschaftlichen Flächen Österreichs für die Nutztierhaltung oder deren Futterbedarf genutzt werden. Österreich produziert also mehr Fleisch, als hierzulande verbraucht wird - und die Österreicher essen dreimal so viel Fleisch, wie gesundheitlich empfohlen wird. Ein absurdes Fördersystem führt außerdem dazu, dass eine enorme Überproduktion an Milch generiert wird, die Tierleid und einen hohen Co2-Verbrauch verursacht und sich nicht einmal wirtschaftlich rechnet: Die Überproduktion zerstört den Milchpreis, immer mehr Bauern geben auf. Warum also nicht lieber die regionale Bio-Gemüseproduktion fördern?


Auch Hobby-Gärtner können Gemüse im Winter anbauen

Um für mehr Aufklärung und Wissen über Wintergärtnerei und Landwirtschaft allgemein auch in der breiten Bevölkerung zu sorgen, hat Wolfgang Palme den gemeinnützigen Verein “City Farm” gegründet, für den er selbst ehrenamtlich arbeitet. Hier gibt es Kurse für Kinder, die hier selbst gärtnern dürfen und die Ernte auch selbst verkochen können. Auch gibt es zahlreiche Angebote für Erwachsene, nicht nur zum Thema Wintergärtnerei.

Palme möchte nämlich auch in den Köpfen der Hobby-Gärtner ein Umdenken bewirken: “Ihnen wurde so lange eingetrichtert, dass im Oktober die Beete geräumt und platt gemacht werden müssen. Und die wirklich Fürsorglichen decken sie dann mit Tannenzweigen ab. Doch am besten wäre es auch für die Böden, einfach immer lebendig und bewachsen zu bleiben. Dazu lässt man einfach Gemüse und Kräuter wie Mangold, Lauch oder Petersilie stehen, oder pflanzt extra für den Winter Salat, Karotten oder Rucola.” Wer wagt und ausprobiert, der kann dann zu Weihnachten mitunter nicht nur Salat und Radieschen, sondern auch verblüffte Blicke der Nachbarn ernten.