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Gurke ohne Tier

(09.01.2015) Düngen ohne Mist und Gülle? Agrarverbände sagen, das sei utopisch. Der Gärtnerhof Bienenbüttel zeigt: Landwirtschaft kann auch vegan funktionieren - aus der TAZ.

Für Sarah Kerwath „kommt das hier der Anbauweise am nächsten, was ich unter bio verstehe“. Und die Salatköpfe sind prächtig.

Eugen Ehrenberg hätte gerne ein Pferd gehabt. Vielleicht mit einem Pflug für seine Äcker. Das sei umweltfreundlicher als die zwei Traktoren, die der Gärtnerhof Bienenbüttel jetzt benutzt. Aber er und seine zwei Freunde entschieden sich damals gegen das Pferd. Die überzeugten Vegetarier wollten einen Betrieb gründen, der Tiere weder hält noch nutzt und auch auf Tierprodukte verzichtet. 35 Jahre später gibt es eine Bezeichnung für dieses Konzept: biovegane Landwirtschaft. Und Ehrenberg ist sich sicher, die Nachfrage danach wird weiter wachsen.

Der Hof in der Lüneburger Heide benutzt keine chemischen Unkrautvernichter und auch keine tierischen Düngemittel wie Gülle, Mist oder Horn. Auch Nutztiere gibt es dort nicht. Die Hofgemeinschaft düngt mit Gemüseabfällen und pflanzlichen Düngerpellets. Kritiker bemängeln, dies sei kein industrietaugliches Konzept. Tiere fräßen nun mal Pflanzen und gäben die Nährstoffe durch ihren Mist an den Boden zurück.

Dies sei der „natürliche Kreislauf“. Der große Vorteil, den konventionelle Bauern von Mist und Gülle haben: Ihr Stickstoff ist billiger als der auf dem Gärtnerhof. Für die Versorgung muss dort immer ein Jahr lang eines der drei Felder brachliegen. Bakterien im Kleegras bündeln den Stickstoff aus der Luft und versorgen so den Acker für die kommenden zwei Jahre mit Nährstoffen. Gerade blüht das Kleegras lila.

Auf dem Feld nebenan steigt Sarah Kerwath barfuß in den feuchten Acker, um Salate zu ernten. Wenn sie sich hinhockt, sind die zwischen den Salatköpfen wachsenden Meldensträucher größer als die 27-Jährige. Andere würden Melden wohl als Unkraut bezeichnen und bekämpfen. Auf dem Gärtnerhof Bienenbüttel sagen die Mitarbeiter dazu „Wildkräuter“. Dem Salat schadet das Kraut nicht, die Köpfe sind riesig: Acht davon in einer Kiste sind üblich im Großhandel. Kerwath bringt in den genormten Kisten nur sechs Stück unter. „Das hier kommt der Anbauweise, die ich unter bio verstehe, am nächsten“, sagt die 27-Jährige.

Tiere sollen nicht „zu unserem Vorteil leiden“

Der Gärtnerhof Bienenbüttel ist einer der wenigen gewinnorientierten bioveganen Höfe in Deutschland. Sonst betreiben meist Gemeinschaftsgärten bioveganen Anbau. Insgesamt listet der Vegetarierbund Deutschland 22 viehlose oder biovegane Betriebe in Deutschland auf. „Viehlos“ heißt, dass der Hof weniger als 0,2 ausgewachsene Rinder pro Hektar Land hält.

Vor fünf Jahren begann Sarah Kerwath ihre Ausbildung zur Gärtnerin mit Fachrichtung Gemüsebau auf dem Hof. Ihr Studium in VWL und Nachhaltigkeitsnaturwissenschaften brach sie ab, sie wollte „mit der Natur leben“. Nach der Ausbildung wechselte sie auf einen Hof, der auch Kühe hielt. Seit März ist sie wieder zurück in Bienenbüttel.

„Für mich ist hier der große Unterschied, dass Tiere nicht für unseren Vorteil leiden müssen.“ Kerwath bemängelt die Züchtung der Tiere in der konventionellen Landwirtschaft: Milchkühe, deren Knochen zu schwach für das Gewicht seien und die physisch gar nicht mehr in der Lage seien, herumzulaufen. Neben den fünf Mitarbeitern leben weitere vier Personen auf dem Hof.

Auch Gründer Eugen Ehrenberg lebt hier, arbeitet aber nicht mehr auf dem Feld. Der 60-Jährige sitzt im Rollstuhl auf der Terrasse vor dem Haupthaus. Auf dem karierten Tischtuch neben ihm steht eine Teekanne, die frischen Kräuterhalme schwimmen im Wasser. „Wenn man die Kritik an der Tierhaltung konsequent zu Ende denkt“, sagt Ehrenberg, „ist biovegane Landwirtschaft die einzige Option.“

Keine Vorbilder

Als Eugen Ehrenberg 25 Jahre alt war, hat er mit zwei Freunden den Betrieb gegründet. „Alle haben gedacht, was machen die für einen Quatsch“, erinnert er sich. Drei Männer, die nicht aus der Gegend kamen, die biologisch anbauen wollten, was damals unüblich war, und dann noch ohne Tierhaltung und -produkte. „Es gab wenige, die uns vormachen konnten, wie das geht“, sagt Ehrenberg. „Wir haben es einfach ausprobiert.“ Ein weiteres Problem, das die drei Jugendfreunde hatten: „Wir hatten nie Geld“, sagt Ehrenberg.

Sie begannen mit einem kleinem Haus und bauten nach und nach Räume an. Heute steht auf dem Hof ein Fachwerkhaus im 70er-Jahre-Schick, mit Holzvertäfelung und Teppichboden. In der Küche essen die Bewohner zusammen, nebenan gibt es ein großes Musikzimmer. Auf den wild gemixten Teppichen stehen Harfe, Klavier und ein Positiv, eine kleine Orgel ohne Pedale. Neben dem Haupthaus gibt es Kühl- und Lagerräume, in Richtung Acker liegen noch zwei Bungalows für die Bewohner, gleich dahinter ist ein Wildblumengarten.

Die vier Hektar Acker in Bienenbüttel teilen sich in rund 100 Parzellen. Kartoffeln, Kürbisse, Rote Bete, Mangold wachsen hier – insgesamt 60 Sorten. Zwischen den Beeten stehen Blühstreifen. Diese sind „Rückzugsort für die Gegenspieler der Insekten, die unsere Pflanzen fressen“, erklärt Klaus Verbeck, Geschäftsführer des Gärtnerhofs. Das sei keine Schädlingsbekämpfung, sondern die „Nützlinge“ sollen das „Gleichgewicht herstellen“. Verbeck ist behutsam in seiner Wortwahl. Auf Fragen antwortet er mit keiner Silbe mehr als nötig: Wie läuft der Hof wirtschaftlich? „Gut“. Leben Sie vegan? „Ja“. „Warum ist vegan leben wichtig? „Weiß nicht, ich bin kein Ethikprofessor.“

Das Ehec-Desaster

Bisher hat Verbeck schlechte Erfahrungen mit Journalisten gemacht. „Wie verkraftet Bienenbüttel die Ehec-Schande?“, fragte bild.de, „Paradies für Keime“, schrieb der Spiegel. Der Biohof stand im Verdacht, Ursprungsort des Ehec-Bakteriums zu sein, das sich 2011 ausbreitete. „Weil es sonst nichts zu berichten gab“, sagt Verbeck, „belagerten Journalisten tagelang den Hof und fragten die Nachbarn aus.“

Doch einen Beweis für den Ehec-Verdacht gab es nie. Alle tausend auf dem Hof entnommen Proben waren negativ. Kaufen wollten die Kunden die Sprossen trotzdem nicht mehr. Die damalige Sprossenzucht, die einen großen Teil des Umsatzes ausmachte, musste Verbeck aufgeben. Inzwischen gibt es jedoch anderes Potenzial, um Geld zu verdienen. Seit drei Jahren bewirbt der Gärtnerhof seine Produkte auf dem Lüneburger Wochenmarkt mit dem Label „biovegan“. Erst seit ein paar Jahren werde Veganismus immer mehr akzeptiert, meint der 46-Jährige, davor habe er Kunden eher abgeschreckt.

Der Markt für vegan angebautes Gemüse wird wachsen, wenn das ökologische Bewusstsein wächst, sagt Klaus Verbeck. Der Bienenbütteler Hof wächst jedoch erst mal nicht. „Dann bräuchten wir ein größeres Kühlhaus und neue Transporter“, erklärt der Geschäftsführer. „Für die Direktvermarktung sind wir gerade gut ausgestattet.“ Außer auf dem Wochenmarkt verkauft der Hof die Produkte freitags im Hofladen, zudem gibt es einen Austausch mit anderen Landwirten aus der Gegend. Verbeck nimmt ihnen vor allem Obst für den Wochenmarkt ab. Abgesehen von Äpfeln, Erdbeeren und Zwetschgen hat der Gärtnerhof nur wenig davon.

Die Briten sind weiter

Von den Einnahmen leben alle Hofbewohner. Natürlich sei es möglich, biovegane Landwirtschaft auch auf 10.000 Hektar zu betreiben, sagt Verbeck. „Entscheidend ist jedoch die Artenvielfalt. Wenn man 10.000 Hektar Mais anbaut, ist das kein Bio mehr.“ Nie wollte er zu einem dieser großen Betriebe gehören, wie sie in Ostdeutschland üblich sind. Am liebsten verkauft er das Gemüse selbst.

Nach der Salaternte geht Sarah Kerwath hinüber zu den Gewächshäusern, in denen Tomaten, Gurken und Kräuter wachsen. Sie will Proviant für die Reise pflücken, später am Tag reist sie nach England, um ein Praktikum auf einem bioveganen Hof zu absolvieren, bei einem Gründer des Vegan Organic Network. In Großbritannien und Österreich ist die biovegane Community größer als in Deutschland. Das Netzwerk hat Richtlinien beschlossen, wie bioveganer Anbau aussehen sollte, und sich ein Siegel als „Stockfree Organic“ gegeben: zwei Blätter, die wie ein „V“ sprießen, in der Mitte eine Sonne. Damit bewerben sie biovegane Produkte.

In Deutschland ist das Netzwerk noch nicht so weit. „Es fehlt das Bewusstsein bei den Leuten dafür, wie eine Gemüseproduktion aussieht“, sagt Eugen Ehrenberg. „Die Leute gehen einfach in den Supermarkt, und da liegt es dann.“ Doch das werde sich ändern, davon ist Ehrenberg überzeugt. „Dass biologischer Anbau mal so sehr nachgefragt wird, hätte vor 30 Jahren auch keiner gedacht.“



http://www.taz.de/Biovegane-Landwirtschaft/!143950/

 

Lesen Sie hierzu auch: Tierhaltung in der Selbstversorgung aus der Rubrik Projekte.

 

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